Über 1800 Kirchen und Kapellen befinden sich im Bereich der Nordkirche. Die überwiegende Anzahl von ihnen ist mehrere Hundert Jahre alt. Ihre steinernen Körper prägen das Landschaftsbild Mecklenburg-Vorpommerns und Schleswig-Holsteins mit.
Vor allem der leuchtend rote Backstein setzt sich dekorativ vom Grün der Wiesen, Felder und Wälder ab.
Zahllose Kirchtürme recken sich dem Himmel entgegen und markieren den Ort für Gottesdienst, Sakramentshandlungen und Gebet weithin sichtbar.
Wenn Sie über Land reisen und Dörfer und Kleinstädte besuchen – folgen Sie diesen Wegmarken und Sie werden (fast) immer zur Kirche gelangen: die Hauptstraße entlang, ggf. in die „Kirchstraße“ abbiegen, alter Baumbestand und natürlich die aufragenden Kirchtürme. Dies sind untrügliche Zeichen.
Kirche auf der Hallig Oland
(c) JPKirchengebäude bestimmten über viele Jahrhunderte hinweg die ländliche und kleinstädtische Siedlungsstruktur: Die Pfarrkirchen befinden sich häufig an zentralen Stellen der Siedlungen: Gehöfte, Hofstellen und Siedlungshäuser gruppierten sich um sie herum. In den Städten liegen Markt und Kirche meist nah beieinander.
Nicht jedes Dorf besaß eine Kirche. In einem sogenannten Kirchspiel, das aus mehreren Dörfern besteht, mussten die Menschen oft weite Wege zurücklegen, um den Gottesdienst zu besuchen. Gottesdienste und Sakramentshandlungen gehörten zur Grundversorgung der Bevölkerung. Die Erreichbarkeit der Kirche lag damit im Interesse der Pfarrgemeinde.
Auf den größeren nordfriesischen Halligen gibt es fast überall eine Kirche. Im Laufe der jahrhundertelangen Veränderung der dortigen Landschaft durch Sturmfluten und Landgewinnung, heben sich die heute noch bestehenden Kirchen als feste Punkte kirchlicher Versorgung heraus. Ihre Ausstattung ist oft eine Zusammenstellung aus untergegangen Kirchen - wie auch in der Kirche auf der Hallig Oland. Sie wurde Anfang des 19. Jahrhunderts erbaut.
Die ältesten Kirchen wurden aus Feldsteinen errichtet. Feldsteine standen im frühen und hohen Mittelalter in großen Mengen zur Verfügung. Sie lagen überall herum und behinderten die Bearbeitung der Ackerböden. Warum nicht absammeln und als Baumaterial für die neuen Kirchen verwenden?!
Holz hatte ausgedient - zu anfällig für Feuer und zu wenig repräsentativ. Mit den Feldsteinen ließ sich schon besser arbeiten.
Je nach Bautraditionen, die die Menschen kennengelernt hatten, wurden die Feldsteine wie vom Boden abgesammelt mit Mörtel in zwei Mauerschalen aufgemauert oder die Steine wurden in eine Gipsschale eingelassen. Mancherorts sind die Feldsteine sorgfältig bearbeitet und regelmäßig aufgeschichtet.
Heute ist in der Regel das nackte Mauerwerk zu sehen. Das war nicht immer so. Zur Bauzeit wurde die Feldsteinoberfläche sozusagen "veredelt": Die Kirchenmauern wurden von außen und innen einheitlich verputzt. Das "billige" Baumaterial war also nicht mehr zu sehen.
Es ist ganz großartig, dass das bloße Mauerwerk heute oftmals zu sehen ist. Steine sind so viel mehr als nur "Mittel und Zweck" für den Kirchenbau. Sie erzählen uns aus der Vergangenheit der Erde. Sie erzählen von den Gletscherbewegungen der Eiszeit, die sie aus verschiedenen Regionen Skandinaviens nach Norddeutschland brachten. Sie erzählen von der Entstehung der Gesteine durch vulkanische Kräfte und der Erdtektonik und sie erzählen von längst trockengefallenen Urmeeren, von Sedimentablagerungen und Versteinerungen.
Die 800-900 Jahre, die unsere Kirchen höchstens alt sind, sind auf dem Zeitstrahl der Erdgeschichte nicht wahrnehmbar.
Es ist ein echter Perspektivwechsel, wenn wir uns nah vor Kirchenmauern stellen und der Erdgeschichte auf die Spur kommen - wie hier einer Fossilie.
Steine erzählen ihre eigene Geschichte und mit ihnen werden Geschichten erzählt: Sie symbolisieren Stärke und Festigkeit - im positiven wie im negativen Sinne.
In der Bibel spielen Steine eine große Rolle. Schließlich entstanden viele biblische Texte vor mehr als zweitausend Jahren, als Stein einer der wichtigsten Rohstoffe war, mit denen Menschen ihre Umwelt gestalteten, aber auch Waffen herstellten.
Der Apostel Petrus nennt Jesus einen Eckstein, einen Grundstein und einen Stein des Anstoßes. Er schreibt, dass die Bauleute den Stein, Jesus, verworfen hätten. Wenn Steine rissig oder porös waren wurden sie aussortiert und nicht zum Bau verwendet. Im übertragenen Sinn sei es so mit Jesus gewesen, er habe die Erwartungen der Gesellschaft nicht erfüllt. Aber Gott, so heißt es weiter, habe ihn auserwählt. Er ist der Grund- und Eckstein eines neuen Baues - einer neuen Glaubensgemeinschaft.
Petrus gehörte zu den Begleitern Jesu, die nach dessen Tod Jerusalem verließen und die christliche Botschaft im gesamten Mittelmeerraum verbreiteten. Petrus ist weit herumgekommen und hat geholfen, Gemeinden zu gründen, Gemeindeleben aufzubauen und zu festigen. Er sah Jesus und die Gläubigen als "lebendige Steine", die gemeinsam ein "geistliches Haus" erbauen - eine Kirche.
Jesus selbst verwandte ein anderes Bild: Für ihn war Petrus ein riesiger Stein - ein Fels, auf den er seine Gemeinschaft erbauen will. Petros ist Griechisch und bedeutet Stein.
Der Begriff "Kirche" bezeichnet also zweierlei: die geistige Gemeinschaft der Christen und ein Gebäude.
Im Verständnis des Christentums ist ein festes Kirchengebäude im Grunde nicht erforderlich. Entscheidend ist die Gemeinschaft, die das Abendmahl in Erinnerung an Jesus Christus feiert.
Zunächst trafen sich die Anhänger der neuen Glaubensgemeinschaft in ihren Häusern und begingen dort das Erinnerungsmahl. Je weiter sich die Botschaft Jesu jedoch verbreitete, umso zahlreicher wurden die Gläubigen und mit ihnen auch die Varianten, in denen die Geschichte Jesu erzählt wurde.
Nun wurden Gemeinschaftshäuser gebraucht. Feste Orte, an denen sich die Menschen zusammenfanden, Gottesdienste feierten und sich über ihren Glauben austauschten und diskutierten, ja sogar stritten. Die Kirche begann sich zu institutionalisieren. Die Gebäude in Stein sind ein Ausdruck dieser Verfestigung und Bestärkung des Glaubens.
Sockelzone des Altaraufsatzes in der Petri-Kirche, Demern
(c) JPIn der Bibel erscheinen Steine nicht nur als Baustoff wie etwa für den Turmbau zu Babel (Gen. 11, 1-9) und den Tempel von Jerusalem (z. B. 1 Kön. 6; 7) oder als Medium für die Übermittlung der zehn Gebote, die Gott Mose auf dem Berg Sinai übergab.
Besonders kostbare Steine - die Edelsteine - spielen in der endzeitlichen Vision des Johannes eine sozusagen fundamentale Rolle: Zwölf Edelsteine bilden die Fundamente der zwölf Tore des himmlischen Jerusalem, darunter. Japsis, Saphir und Smaragd (Off. 12). Die Zahl zwölf verweist auf die zwölf Apostel, die nach dem Tod Jesu ausgesandt wurden, die christliche Botschaft in die Welt zu tragen.
Im Mittelalter besaßen die farbigen Edelsteine daher symbolische Bedeutung. Sie wurden mit Emaille und Glas nachgeahmt.
Zurück zu den ganz konkreten Steinen: Im 13. Jahrhundert lief der künstliche "Back"-stein den Feldsteinen den Rang als Baustoff ab. Sowohl im Kirchenbau als auch für öffentliche Gebäude und private Wohnhäuser wurde dieses leicht formbare Baumaterial eingesetzt. Er verhalf einer ganzen Bautradition zu ihrem Namen: die Backsteingotik. Innovation - in Rot.
Mit den kleineren Backsteinen konnten Portal- und Fensterlaibungen der Kirchengebäude präziser gemauert und prächtiger verziert werden.
Die Backsteingotik brachte keine prächtigen mit figürlichen Reliefs verzierte Kirchenportale hervor, wie zum Beispiel der Kölner Dom oder die französischen Kathedralen. Ihre Architektur und Baudekoration ist ihrem Material angepasst. Da die Steine durch das Einstreichen von Lehm in Holzformen gefertigt wurden, konnten je nach Bedarf und regionaler Bautradition Formsteine passgerecht hergestellt werden.
Die Portale sind oft vielgestaltig gestaffelt: Aus einfachen abgefasten oder mit einer 3/4-Rundung versehenen Formsteinen mauerten die Handwerker Schicht für Schicht kleinteilige Portalgewände auf.
Die Verwendung von Backstein als Baumaterial war seit der Antike bekannt, mit der Backsteingotik erlebte der Ziegelbau jedoch tatsächlich eine Innovation. Was uns heute malerisch anmutet, war einst hochmodern.
Kirchengebäude sind mehr als funktionale Gebäude. Sie sind mit religiöser Symbolik aufgeladen. Vom Baumaterial, über die Gliederung der Räume bis hin zur Baudekoration - überall lassen sich Hinweise auf die Nutzung des Gebäude herauslesen - nicht zuletzt im gotischen Dreipass, der auf die Dreifaltigkeit Gottes - Vater, Sohn, Heiliger Geist - verweisen soll. Symbolik und Ästhetik gehen Hand in Hand.
Die Baudekoration, wie etwa grün oder schwarz glasierte Backsteine, unterstützte die Gliederung der Architekturoberflächen. Sie sind typisch für die norddeutsche Backsteingotik. Mit ihnen erhalten Fassaden und Giebel geradezu eine malerische Qualität. Allerdings war die Herstellung aufwendig und teuer: Die Glasur musste hergestellt und zusätzlich vor dem Brand auf den Rohling aufgebracht werden. Das konnte sich nicht jeder leisten.
Solche dekorativen Elemente dienten der Ehre Gottes, aber natürlich auch dem Bedürfnis nach Schönheit und Repräsentation der Menschen: "schöner, höher, weiter" - das galt schon in früheren Jahrhunderten.
Radwegekirche in 23936 Friedrichshagen
(c) JPKirchen wurden für die Ewigkeit gebaut. Sie bewahren Erinnerungen an menschliches Hoffen und Handeln über viele Jahrhunderte hinweg.
Mit Hilfe zahlreicher Sanierungen und baulicher Anpassungen bereits in früheren Zeiten und in der Gegenwart ist die Rechnung der Baumeister und Auftraggeber "aufgegangen". Feldstein- und Backsteinkirchen laden uns heute zu Besuchen ein. Egal, ob wir mit religiösem, kunst- oder kulturgeschichtlichem Interesse die Tür öffnen oder ob wir einfach nur neugierig sind, was sich hinter den Mauern verbergen mag.
Die verschiedenen Regionen der Nordkirche bieten Übersichten über Offene Kirchen an. Hier erhalten Sie Informationen über Öffnungszeiten. Sollte Ihre "Wunschkirche" nicht dabei sein oder sie gerade zufällig vor irgendeinem Kirchenportal gelandet sein - im Internet finden Sie die Kontaktdaten der Kirchengemeinde.