Einsteigen - Altes Zeug? / Barockes Ornament vom Altaraufsatz, Ev. Kirche, Behlendorf, Kreis Herzogtum Lauenburg (c) JP

Auf dem Gebiet der Nordkirche gibt es weit über 1800 Kirchen und Kapellen. Auf dem Land, in den kleinen und großen Städten oder der Metropole Hamburg - die markanten Feld- und Backsteinbauten prägen weithin sichtbar die norddeutsche Landschaft und die Silhouetten der Hansestädte.

Die meisten Kirchengebäude stehen unter Denkmalschutz. Ihre Geschichten reichen weit zurück in die Landesgeschichte der heutigen Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg.
Manche sind schmucklose Zweckbauten, andere prachtvolle Backsteinbasiliken. Manchmal sind sie malerisch verbaute und kleinteilig dekorierte Kleinode in abgelegenen Winkeln zwischen Feldern, Hügeln Seen und Meer. Alle Kirchen erzählen ihre ureigene Geschichte. Sie sind Teil des kulturellen Erbes der Region und der ganze Stolz der Kirchengemeinden.

Einsteigen - Altes Zeug? / Heiliger Georg, Altaraufsatz, Georgskirche, Eixen, Landkreis Vorpommern-Rügen (c) JP

Die Kirchen erzählen von den Veränderungen, die sie seit Jahrhunderten erleben. Sie erzählen von Zerstörung und Verfall, Modernisierung und Neuanfang. Manche von ihnen sind noch Zeugen eines tiefgreifenden kulturellen Wandels: Im 12. und 13. Jahrhundert setzte sich das Christentum als vorherrschende Religion nordöstlich der Elbe durch. Besser gesagt: Es wurde durchgesetzt - in einem keinesfalls nur friedlich verlaufenden Prozess. Angeworbene Siedler aus anderen Teilen des heutigen Deutschland kamen in slawische Siedungsgebiete, rodeten Wälder und bauten eigene Siedlungen auf und - Kirchen.

Einsteigen - Altes Zeug? /Katharinenkirche, Südwestecke, Leplow, Landkreis Vorpommern-Rügen (c) JP

In dieser Zeit bauten die Menschen mit den Materialien, die sie in ihrer Umgebung vorfanden: Feldsteine. Die Katharinenkirche in Leplow, Landkreis Vorpommern-Rügen, stammt aus dieser Zeit des Umbruchs. Sie selbst hat eine wechselvolle Geschichte erlebt. Erbaut aus vor Jahrtausenden von Eismassen aus Skandinavien hergebrachten Steinen, die mit einfachen Hilfsmitteln bearbeitet und vermauert wurden, erfuhr sie Niedergang und Zerstörung und letztlich doch einen engagierten Wiederaufbau durch die Gemeinde vor Ort.

Einsteigen - Altes Zeug? / Backsteinmauerwerk (c) JP

Nach und nach ersetzte der Backstein den Feldstein als Baustoff. Zuerst sind es die Kirchen der Hansestädte, die aus diesem Baumaterial erbaut wurden. Die reichen städtischen Pfarrgemeinden, die Domkapitel und Klöster konnten es sich leisten, massenweise Steine in einem mühevollen Arbeitsprozess aus Lehm herstellen zu lassen und nach französischen Vorbild zu himmelstürmenden 'Kathedralen' zu vermauern. Der individuell formbare Backstein ermöglicht einen größeren künstlerischen Spielraum als der von der Natur geformte harte, spröde Feldstein.

Ein 'Industriezweig' entstand, der Menschen ein Auskommen garantierte und die Backsteingotik wurde ein Medium des kulturellen Austausches im gesamten Ostseeraum.

Die kleineren Städte "zogen" nach und auch die adeligen Kirchenpatrone ließen in ihren Dörfern Backsteinkirchen erbauen.

 

Einsteigen - Altes Zeug? / Pietà, Detail, St. Annen-Kirche, St. Annen, Kreis Dithmarschen (c) JP

Nicht nur die Kirchengebäude sind Zeugen stetigen kulturellen Wandels und gesellschaftlicher Veränderungen. Auch die Ausstattung der Kircheninnenräume, die Bilder und Skulpturen, Gestühle, Fenster und Altäre erzählen zahllose Geschichten von Abschied und Neuanfang. Sie sind Etappen auf einer Zeitreise durch acht Jahrhunderte Kirchen- und Landesgeschichte. Sie erzählen von Menschen, die die Kirchenräume gestalteten und nutzen. Und sie erzählen von Händen, die umbauten, übermalten, neu arrangierten und gestalteten.

 

Einsteigen - Altes Zeug? / Heilige Barbara, Georgskirche, Eixen, Landkreis Vorpommern-Rügen (c) JP

Viele der alten Schnitzfiguren haben im wahrsten Sinne des Wortes ihre „Fassung verloren“, das heißt, dass ihre ursprüngliche Bemalung verloren ist. So wie bei dieser schönen Figur.

Ursprünglich war das Gesicht der Heiligen Barbara bemalt. Sie hatte sicher einen zarten Teint, leicht gerötete Wangen, hellrote Lippen und feine braune Lidstriche und Augenbrauen. Ihr Haar ist im Stil der Zeit modisch frisiert. Welche Farbe hatten wohl ihre Augen? Heute sehen wir statt der Bemalung die Holzoberfläche. Wir erkennen den Verlauf der Holzfasern und die Öffnungen der von den Schnitzwerkzeugen angeschnittenen Fasern. Diese Schönheit des Materials Holz schätzen wir heute sehr. Für den mittelalterlichen Kirchenbesucher war die Holzsichtigkeit ein 'no go'.

 

Einsteigen - Altes Zeug? / Kruzifix, Ev. Kirche, Rethwisch, Landkreis Rostock (c) JP

Die spätmittelalterlichen Kirchen sind Orte bunter Farbenpracht: Leuchtende Glasbilder, großformatige Wandmalereien, die Gewänder der Geistlichen, goldglänzende und buntfarbige Tafelbilder schmücken den Innenraum. Die Ausstattungsstücke sparten nicht mit Reizen für die Augen. Nur die Darstellung des am Kreuz sterbenden Jeus stimmte nicht in dieses Konzert der Farben ein: Der geschundene Körper ist, was er ist: ein Körper. In mehreren Schichten wurden Farben so übereinander aufgetragen, dass der Eindruck echter leichenblasser Haut entsteht. Ein Anblick zum Erschauern und Mitleiden.

Das Kruzifix in der Dorfkirche von Rethwisch, Landkreis Rostock, wurde in nachmittelalterlicher Zeit übermalt. Der Maler beherrschte die alte Maltechnik nicht mehr. Nur der Kontrast zwischen der dunklen Haarfarbe und dem Rot des aus den Wunden austretenden Blutes veranschaulichen noch heute das Drama des gewaltsamen Todes.

Über die schöne Kirche in Rethwisch und ihre interessante Ausstattung erfahren Sie hier mehr.

 

Einsteigen - Altes Zeug? / Mittelschrein des Flügelretabels, Ev. Kirche, Crivitz, Landkreis Ludwigslust-Parchim (c) JP

Einen kleinen Eindruck von der früheren Strahlkraft mittelalterlicher Farbfassungen gibt diese Mutter Gottes im Strahlenkranz (Strahlenkranzmadonna) in der Kirche in Crivitz, Landkreis Ludwigslust-Parchim. Die Bemalung ist neu und nicht so fein wie die ursprüngliche Fassung, doch sie folgt dem alten Farbkanon: Gold, Rot, Blau. Bei einer lange zurückliegenden Restaurierung hat man versucht, den Eindruck mittelalterlicher Farbigkeit für die Nachwelt zu erhalten.

 

Einsteigen - Altes Zeug? / Taufbecken, Detail, Marienkirche, Heiligenstedten, Kreis Steinburg (c) JP

Die Ausstattungsstücke der Kirchen zeugen von einer reichen Handwerkstradition: Tafel- und Fassmaler, Bildschnitzer, Kontormacher, Gewandschneider, Glockengießer, Glasmaler, Pergamentmacher. Sie sind nur ein kleiner Teil der zahlreichen Spezialhandwerker in den Städten, die Gegenstände zur Ausübung privater und öffentlicher Andacht herstellten und ihre Handwerkskunst zum Kauf anboten.

Einsteigen - Altes Zeug? / Sockelzone, Flügelretabel, Petrikirche, Demern, Landkreis Nordwestmecklenburg (c) JP

Für den Schrein des Altaraufsatzes in Demern, Landkreis Nordwestmecklenburg, wurde ein Handwerker beauftragt, der es verstand, aus dem harten Eichenholz feinste, an Goldschmiedearbeiten erinnernde Ornamente zu schnitzen. Wir kennen seinen Namen nicht, wissen nicht, wann und wo er lebte, wen er liebte und was er gern aß. Keine schriftliche Überlieferung erhellt das Dunkel um sein Leben. Aber es bleibt diese virtuose, köstliche Schnitzarbeit, die auch noch nach mehr als 600 Jahren die Augen erfreut.

 

Einsteigen - Altes Zeug? / Taufengel, Johanneskirche, Wusterhusen, Landkreis Vorpommern-Greifswald (c) JP