Die Sprache der Falten - die Madonna in Laase / Ev. Kirche, 18249 Laase, Landkreis Rostock (c) JP

Seit mehr als 700 Jahren sitzt eine Frau aufrecht auf einem Thron, ein Kind auf ihrem Schoß. Sie blickt geradeaus - wie versonnen lächelnd in den kleinen Kirchenraum hinein. Vor ihren hölzernen Augen kamen und gingen Menschen wurden getauft, beteten, sangen, lachten, weinten, schimpften und wurden beerdigt. Von diesen Geschichten kann die Frau nichts erzählen. Aber sie erzählt ihre eigene Geschichte und die ist spannend genug.

Die Sprache der Falten - die Madonna in Laase / Ev. Kirche, 18249 Laase, Landkreis Rostock (c) JP

Wer sie ist, kann nur wissen, wer sich in der Bildwelt des Christentums auskennt. Die christliche Kunst schöpft ihre Bildsprache aus den Geschichten der Bibel und aus jahrhundertelanger Tradition. Diese Geschichten, diese Traditionen muss mensch kennen, um die Bilder benennen zu können.
Aber es geht auch anders!

Die Sprache der Falten - die Madonna in Laase / Ev. Kirche, 18249 Laase, Landkreis Rostock (c) JP

Das Bild wirkt auf uns Betrachter, auch wenn wir die Namen der Dargestellten nicht kennen.
Was genau sehen wir? - Wie viele Figuren sind dargestellt? Wie groß sind sie? Wie ist ihre Haltung? In welcher Beziehung stehen sie zueinander? Wie sind sie gekleidet? Wie ist diese Kleidung gestaltet?
Vor unseren Augen entfaltet sich eine Geschichte: Das Bildwerk erzählt von einer Königin mit einem Kronreif auf dem Kopf, gekleidet in ein langes Gewand, dessen Falten nicht natürlich fallen. Es erzählt von einem Königskind, das geschützt auf dem Schoß einer Frau - seiner Mutter? - sitzt.
Es ist die zweitausend Jahre alte Geschichte von Maria und ihrem Sohn Jesus, der nach christlichem Glauben auch der Sohn Gottes war.

Die Sprache der Falten - die Madonna in Laase / Ev. Kirche, 18249 Laase, Landkreis Rostock (c) JP

Diese sogenannte thronende Madonna mit Kind entstand wohl um das Jahr 1270. Sie ist eine der ältesten Holzskulpturen in Mecklenburg-Vorpommern und über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

Damals sah man in Maria den 'Thron' ihres Sohnes Jesus Christus: Durch sie kam Gott zur Welt. Am Ende der Zeit werden sie beide im Reich Gottes herrschen, so das damalige Glaubensverständnis. Diese herausgehobene Stellung konnte nach mittelalterlichem Verständnis nur durch die Darstellung als König und Königin deutlich gemacht werden.
In der biblischen Geschichte von den drei Königen, die im Stall von Bethlehem das neugeborene Kind angebetet und mit Kostbarkeiten beschenkt haben sollen, wird diese Rolle als Herrscher der Welt besonders deutlich.

Möchten Sie mehr erfahren über Maria als Königin und den sogenannten Thron der Weisheit? Ein (virtueller) Ausflug in die Laaser Kirche steht Ihnen hier zur Verfügung.
 

Die Sprache der Falten - die Madonna in Laase / Ev. Kirche, 18249 Laase, Landkreis Rostock (c) JP

Auch nach Jahrhunderten hat die Laaser Madonna ihre würdevolle Ausstrahlung nicht verloren. Vor uns steht ein Zeugnis einer längst vergangenen Zeit. Die Schnitzarbeit lässt auch nach all den Jahrhunderten und mit ihren nachträglichen Verletzungen den Blick auf die ursprünglichen 'Handschrift' des Bildschnitzers zu.
Die Figur hat er aus einem mächtigen Eichenstamm der Urwälder Mecklenburgs heraus gearbeitet. Das Gewand legte er in schweren Falten über die Figur. Sie breiten sich wie ein Ornament über Maria aus, umkreisen das thronende Kind, bieten ihm Stütze und laufen von allen Seiten auf es zu. Ihre Aufgabe ist es, die Bedeutung dieses Kindes hervorzuheben. Das ist typisch für die Kunst der Romanik und der Gotik.

Ev. Kirche, 18249 Laase, Landkreis Rostock (c) Jutta Petri

Wer der Bildschnitzer war, wo seine Werkstatt lag, mit wem er zusammenarbeitete und wo er seine Fertigkeiten erworben hatte, das wird sich heute nicht mehr feststellen lassen. Aber wir können uns umschauen und Vergleiche anstellen. So befanden sich etwa in den Kirchen in Belitz und in Dahmen zwei ähnliche Figuren. Vielleicht gab es in der nächsten größeren Stadt - Güstrow - eine Werkstatt, die die ersten Ausstattungsstücke für Kirchen in dieser Region lieferte.

Die Sprache der Falten - die Madonna in Laase / Ev. Kirche, 18249 Laase, Landkreis Rostock (c) JP

Wir können die Spur der unbekannten Bildschnitzer allerdings noch weiter verfolgen. Dafür ist es wichtig, das Gewand der Maria zu betrachten: Wie ist der Mantel um den Kopf und die Schultern gelegt. Wie verlaufen die Falten seitlich und über den Beinen? Wie sind die Falten am Boden gestaucht? Und wie ist der Körperbau der Maria? Die Spuren führen nach Niedersachsen und Westfalen. Die Werkstatt hat eine ganze Reihe von einzelnen Motiven aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts aufgenommen und in einer eigenen Art umgesetzt: Sie abstrahierte natürliche Faltenwürfe zu paralell angeordneten Mustern.

In unserer Literaturliste finden Sie wissenschaftliche Arbeiten, in denen diese Fragen beleuchtet werden.

Die Sprache der Falten - die Madonna in Laase / Ev. Kirche, 18249 Laase, Landkreis Rostock (c) JP

Die Figur wurde von den Menschen hoch verehrt. Das schützte sie vor starken Zerstörungen. Sie gehörte einst zu einem Altar der Kirche und bildete das Zentrum des Gottesdienstes.
Vermutlich war sie eines der ersten Ausstattungsstücke der Laaser Kirche. Der heutige Kirchenbau entstand um 1400. Doch es gab einen hölzernen Vorgängerbau, der mehr als 150 Jahre älter ist. In dieser Stabkirche können wir uns das hölzerne Bild vorstellen: vergoldet und farbig bemalt vor einer ebenso aufwendig gestalteten Rückwand. Diese ist noch erhalten, wurde aber nachträglich umgearbeitet. Die Bemalung der Figur ist gänzlich verloren: Die Madonna und ihr Kind sind gründlich abgelaugt und abgebürstet. Kein Rest der ursprünglichen Farbe ist erhalten. Stattdessen ist sie zu einem unbekannten Zeitpunkt mit grauer Ölfarbe angestrichen worden. Viele Laaser kennen ihre Madonna noch in diesem Zustand. Heute sehen wir sie  - abermals abgelaugt - in dem Zustand, in dem sie vor vielen hunderten von Jahren die Werkstatt des unbekannten Bildschnitzers verließ. Was für ein Schatz!

Über die Kirche und ihre Ausstattung erfahren Sie mehr in Vor Ort. Die Kirche in Laase.
Die Kontaktdaten der Gemeinde finden Sie hier.

Die Sprache der Falten - die Madonna in Laase / Marienleuchter, Marienkirche, Heiligenstedten, Kreis Steinburg (c) JP

Im Laufe der Zeit veränderte sich auch die Geschichte, die die Menschen von Jesus und Maria erzählten: Maria thronte nicht mehr so streng und frontal auf ihrem Thron. Sie wandte sich mehr und mehr ihrem Kind zu, das nun keine Krone mehr trug, sondern wie ein Kleinkind aussah. In diesen Darstellungen aus der Zeit der Gotik zeigen uns die menschliche Natur des Gottessohnes - seine Verletzlichkeit. Und Maria wird als liebende und trauernde Mutter dargestellt.
 

 

Die Sprache der Falten - die Madonna in Laase / Trauernde Maria, Kreuzigungsszene, St. Michaelis-Kirche, Hohenaspe, Kreis Steinburg (c) JP